Ein symbolträchtiger Turm für La Défense

Gehen wir zurück in die Mitte der 2000er-Jahre und zum Wettbewerb für einen „Tour Phare“, bei dem eine Auswahl internationaler Architekten – darunter vier Pritzker-Preisträger – aufgefordert wurde, einen Wolkenkratzer im Pariser Stadtteil La Défense vorzuschlagen, der höher sein sollte als der Eiffelturm.

Wie könnte man die Perspektive von La Défense vervollständigen um eine neue symbolische Vertikale, 300 Meter hoch und situiert zwischen dem CNIT, das 1958 von Camelot, de Mailly und Zehrfuss entworfen wurde, und dem monumentalen Bogen von Johan Otto von Spreckelsen, der während der ersten siebenjährigen Amtszeit von François Mitterrand entworfen wurde? Mit dieser Frage beschäftigten sich 2006 zehn sorgfältig ausgewählte Architektenteams, um jenen Leuchtturm zu entwerfen, der die Erneuerung und die Dynamik dieses Finanzzentrums gegenüber der City of London, seinem großen Rivalen, markieren sollte.

Die Konstrukteure mussten, was das Wettbewerbsgelände betrifft, jedoch ein großes technisches Problem lösen: Dieser sehr hohe Turm konnte nur an drei Stellen gesetzt werden, nämlich zwischen die Straßen und Eisenbahnlinien, die sich unter der Bodenplatte überlagern und kreuzen. Die Hauptqualität des Siegerprojekts von Tom Maynes (Morphosis) besteht zweifellos darin, dass es hier gelingt, diese fieberhafte Suche nach Stützpunkten zum Ausdruck zu bringen: Sein mangrovenförmiges Exoskelett durchquert die Platte immer wieder auf der Suche nach festem Boden. Dann hüllt es sich in ein elegantes Glaskleid, das schließlich zu einem Haarschopf aufsteigt. Der Vorschlag von Herzog und de Meuron beruht ebenfalls auf kontextuellen Prinzipien, auch wenn sie einen minimalistischen Stil verwenden. Die dünne, längliche Form des Gebäudebereichs wird einfach extrudiert. Der zentrale Kern ist in mehrere Fragmente unterschiedlicher Höhe unterteilt, wodurch doppelte oder sogar dreifache Stockwerkshöhen entstehen.

Tour Phare im Hochhausviertel La Défense, Paris | © Morphosis


Die meisten anderen Wettbewerbsteilnehmer schlugen ganz offensichtlich Konstruktionen vor, für die die Schwierigkeit dieses Geländes eine nur untergeordnete Rolle spielte. Dies ist z.B. der Fall bei Rem Koolhaas (OMA), der vollkommen frei mit der Verteilung der Programme innerhalb seines Volumens spielt: So befinden sich die Parkplätze in einer schwebenden Box über dem Atrium, während die Lobby in das oberste Stockwerk verlegt wurde, um so die in vier Richtungen auskragenden Konferenzräume zu bedienen. Oder Jean Nouvel, der, wie um zu beweisen, dass Bilder die Architektur ersetzen können, sehr weit geht: Er stellt sich zwei Bildschirme vor, die sich über Turm und Stadt drehen, um speziell für sie entworfene Filme zu zeigen. Das Projekt von Jacques Ferrier, der einen begrünten Turm zu Babel vorschlägt, kann ebenfalls in diese Kategorie eingeordnet werden ebenso wie das von Dominique Perrault. Die siamesischen Türme von Fuksas, die schwebenden Blöcke von Foster, die ineinander verschlungenen Kreise von Gautrand oder das Segel von Michelin, allesamt sehr interessant, konnten sich nicht als Ikonen durchsetzen, die die Komplexität des Ortes offenbaren oder neue Ideen zum Ausdruck bringen.

Aber das ist jetzt alles längst vorbei. Unibail, Auslober des Projekts, gaben 2015 das Projekt von Tom Maynes (Morphosis) auf, haben das Verfahren stattdessen geändert und Christian de Portzamparc direkt mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Christian de Portzamparc begann daraufhin mit dem Bau der „Sister Towers”, zwei Gebäude, die durch eine Brücke miteinander verbunden sind und derenv Bau zwischenzeitlich wiederum gestoppt wurde. Dieses Projekt erinnert in gewisser Weise an einen Wettbewerb von 2011, bei dem Christian de Portzamparc sich nicht hatte durchsetzen können: nämlich an den der sich gegenwärtig im Bau befindenden Masséna-Türme, ebenfalls in Paris, den Jean Nouvel mit den „Tours Duo” gewann. Ewige Grausamkeit oder ewige Ironie der Geschichte...

Richard Scoffier, Oktober 2021

Richard Scoffier © PFRunner

Richard Scoffier

Richard Scoffier ist Architekt und unterrichtet an der französischen Elite-Universität École Nationale Supérieure d’Architecture in Paris-Val de Seine.
Er veröffentlicht regelmäßig Artikel in den französischen Zeitschriften D’A und Archiscopie.
Außerdem gibt er im Rahmen der von ihm gegründeten Université Populaire jedes Jahr Kurse im Pavillon de l’Arsenal, dem Pariser Zentrum für Architektur und Städtebau.